Südwest Presse, 23. April 2014 – von Verena Schühly
Nicht jeder, der bei der TelefonSeelsorge anruft, möchte reden. 321 Schweigeanrufe hat es 2013 gegeben. Wie geht man damit um? Wir veröffentlichen das Protokoll, das eine Ehrenamtliche nach solch einem Anruf aufgeschrieben hat.
Rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr, stehen die Mitarbeiter der TelefonSeelsorge als Ansprechpartner bereit. Manchmal müssen es die Ehrenamtlichen dabei auch aushalten, dass das Gegenüber nur wenig oder gar nichts sagt.
Neulich bekam ich in meinem Dienst einen Schweigeanruf. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich mich so lange damit beschäftigen würde.
Es war nicht so ein Anruf, bei dem jemand am anderen Ende ziemlich schnell wieder den Hörer auflegt. Nein, es war erst still, dann ein Ton – etwas Dunkles, wohl eine männliche Stimme. Doch es war kein Hallo oder ein Ja. Es kam auch kein zweites Wort. Bis ich das begriff, übernahm ich das Wort. Ich fragte, ob ich mit ihm schweigen solle, oder was es sei, womit ich ihm helfen könne. Es täte mir leid, nicht zu wissen, wie ich nun damit umgehen könne. Denn ich könne ihm ja auch nicht einfach nur irgendwas erzählen.
Die Spannung meines Gegenübers schien spürbar. Es war kein Atem zu hören, einfach nur Stille. Ich sagte ihm dann nach einigen weiteren Minuten, dass ich noch ein bisschen abwarten würde, dann aber leider das Gespräch beenden möchte. So tat ich es dann auch, wünschte ihm alles Gute.
Nach etwa 35 Minuten – in der Zwischenzeit hatte ich ein anderes Gespräch – kam wieder ein Schweigeanruf. Ich vermutete gleich, dass es der selbe Anrufer sein könnte. Also fragte ich, ob er schon zuvor angerufen habe. Diesmal war der Ton ein klein wenig deutlicher, er schien es zu bestätigen. Doch ich konnte da kein Wort dahinter erkennen, wie etwa ein “hemm”. Beeindruckend war, dass ich nun gleich hoffte, diesmal könne doch ein Gespräch entstehen, weil der Anrufer inzwischen den Mut gefunden haben könnte.
Die Stille war für mich diesmal eine fast zu starke Nähe an meinem Ohr – es war sehr nah, fast intim und teilweise auch beängstigend. Dieses Gefühl konnte ich mir aber erst im Nachhinein erschließen. Im Augenblick des Gesprächs war ich einfach total angespannt und irgendwie fasziniert.
Ich sah diesen zweiten Versuch als Bestätigung, dass er es einfach will – aber dass es zugleich etwas gibt, das ihn stumm sein lässt. Was war das wohl? Auf jeden Fall fühlte ich, dass am anderen Ende der Leitung ein Mensch in großer Not ist. Das machte mich sehr betroffen.
Ich sagte zu ihm Worte, die normalerweise Antworten herausfordern würden. Zumindest wenigstens ein Ja oder ein Nein. Aber es kam nichts. Dann bereitete ich ihn wieder darauf vor, dass ich nur noch einige Minuten abzuwarten würde. Ob er sich nicht doch auf ein Gespräch einlassen könne. . . Gleichzeitig sagte ich auch, dass ich es bedauern würde, mir aber keinen anderen Rat mehr wüsste.
So endete das Gespräch.
Dieser Rat- und Hilflosigkeit ausgesetzt zu sein, hat mich nachhaltig traurig gemacht. Ich fühlte zwei Welten: Einerseits gibt es eine Verbindung mit Hilfe der Technik, die in dieser Situation aber keine Kontaktaufnahme zuließ, und die auch nicht für alle als eine Chance angenommen werden kann, sondern viele wie in einer Nebelwelt unerreichbar lässt.